S/4HANA-Umstellung erfolgreich meistern – klare Anforderungen als Grundstein eines erfolgreichen Projekts
Die Umstellung aus SAP S/4HANA ist aktuell eine wichtige Herausforderung für viele Unternehmen. Wie bei jedem weitreichenden Eingriff bzw einer Umstellung des ERP-Systems handelt es sich dabei um ein Projekt erheblicher Komplexität, das Risiken und Chancen mit sich bringt. Eines lässt sich hierbei jedoch klar herausarbeiten: die Fokussierung auf eine reine IT-Umstellung ist zu eng gefasst. Die Realisierung von Potenzialen muss als weitreichende Transformationsaufgabe verstanden werden, bei der klar formulierte und abgestimmte Anforderungen den wichtigsten Grundstein liefern.
1. Die herausfordernde Ausgangssituation
Die Umstellung von SAP ECC auf SAP S/4HANA beschäftigt derzeit viele Unternehmen, nicht zuletzt, weil 2027 die Mainstream Maintenance für SAP ERP und 2030 die Extended Maintenance auslaufen, und ein Umstieg unausweichlich wird. Während einige Unternehmen diesen Weg bereits erfolgreich bestritten haben, ist der Umstieg auf S/4HANA bei vielen Unternehmen aktuell am Laufen bzw steht diese manchen sogar noch bevor. Eine solche Umstellung ist nicht nur mit hohem Aufwand verbunden, sie birgt auch zahlreiche Risiken und Potenziale.
Zudem ist eine derart weitreichende Umstellung auch eine Chance, diese nicht nur als Projekt zur Implementierung einer neuen Software anzusehen, sondern ein grundlegendes Transformationsprojekt zu starten und so Potenziale durch eine Verbesserung von Geschäfts- und Steuerungsprozessen, sowie dem Steuerungsmodell zu realisieren. Hier spielt selbstverständlich auch der grundlegende Umstellungsansatz (Brownfield vs Greenfield) eine maßgebliche Rolle.
Zentral in jedem S/4HANA-Umstellungsprojekt ist immer eine klar ausformulierte, intern abgestimmte und gemeinsam getragene fachliche sowie daraus abgeleitete technische Anforderungsdefinition. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich damit, einige wesentliche Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Anforderungsdefinition herauszuarbeiten und beleuchtet auf Grundlage von konkreten Projekterfahrungen unterschiedliche Facetten als Basis einer erfolgreichen S/4HANA-Umstellung.
2. Ausgewählte Gestaltungsempfehlungen für ein erfolgreiches Transformationsprojekt
Angesichts der oben skizzierten Ausgangssituation stellt sich für viele Unternehmen die Frage, welche konkreten Gestaltungsempfehlungen für die S/4HANA-Umstellung gegeben werden können. Die hier angeführten Empfehlungen haben keinen „one-fits-all“-Charakter und sind daher ggf kontextspezifisch zu hinterfragen und auch anzupassen. Sie liefern aber einen Handlungsrahmen für die Ausgestaltung eines erfolgreichen Projekt- Setups und können in bereits bestehende Projektansätze integriert werden.
2.1. Eine klare Projektvision liefert Guidance
Zu Beginn steht im Idealfall eine Projektvision, die in Abstimmung mit dem (Top-) Management formuliert und kommuniziert wird. Darin werden wesentliche Zielsetzungen des Projekts festgelegt und dienen als „Leitplanken“ für die weiteren Konzeptionsarbeiten. Somit wird die Zielrichtung der weiteren Konzeptionsarbeiten im Sinne verbindlicher Management-Vorgaben für das Projekt definiert. Hier sind Schwerpunktsetzungen wie beispielsweise Effizienzgewinne und Automatisierung, Datenqualität, Zentralisierung usw in deren jeweiligen Prioritäten (auch zueinander iS möglicher Tradeoffs) zu diskutieren und formulieren. Zudem sind dabei auch die wesentlichen Vorgaben in Richtung der technischen Umsetzung zu definieren. Dies beinhaltet in der Regel eine klare Ausrichtung am SAP-Standard bzw auch die Festlegung als führendes System.
Auch, wenn die initiale Formulierung der Projektvision manchmal als „Pflichtübung“ wahrgenommen wird, zeigt sich im Projektverlauf oft der Nutzen von klar ausformulierten und gemeinsam verabschiedeten „Leitplanken“. Spätestens mit ersten Richtungsstreitigkeiten in der (Detail-)Konzeption sind diese Festlegungen von erheblichem Nutzen und können konzeptionellen „Querschlägern“ vorbeugen. Zudem tragen sie auch maßgeblich dazu bei, vorschnellen Eskalationen in Richtung Steering Committee unnötig zu machen.
2.2. Anforderungen Top-down ableiten und sukzessive Bottom-up ergänzen bzw schärfen
Die Umstellung auf S/4HANA bildet (wie bereits weiter oben herausgearbeitet) eine hervorragende Möglichkeit, weitreichende Umstellungen bei Prozessen und im Steuerungsmodell des Unternehmens vorzunehmen. In dieser Tragweite ist dies eine Chance, die sich idR nur rd alle 20 Jahre (mit der Umstellung des ERP-Systems) ergibt und daher auch genutzt werden will. Es erfordert damit aber eine breite Einbindung relevanter Personen bzw Key-User in die Anforderungsdiskussion. Was anfangs meist ein positives Momentum erzeugt, kann sich rasch in vielen Detaildiskussionen, gegenläufigen Bedarfen bzw Anforderungen und in weiterer Folge einem Projektstillstand niederschlagen.
Um diesem Stolperstein von Beginn an auszuweichen, empfiehlt sich eine smarte Workshop- Planung zur Anforderungsdiskussion, die einem Top-down-Ansatz folgt und nicht in reinen Bottom- up-Diskussionen verhaftet bleibt. Hierzu sind zuerst Zielbilder für die einzelnen Konzeptionsbereiche auszuarbeiten, die dann (insbesondere mit dem Top-Management) abgestimmt werden. Damit einher geht auch das transparente Aufzeigen der sich jeweils ergebenen Konsequenzen, auch im Lichte der oben definierten Projektvision. Anhand der ausgearbeiteten und abgestimmten Zielbilder geht das Projekt dann in eine weitere Detaillierung der konzeptionellen Anforderungen in Workshops in breiterer Runde und damit auch in die operativen Anforderungen der Key-User. Die Ableitung der Anforderungen für S/4HANA müssen konsequent an der übergeordneten Projektvision bzw den Projektzielen ausgerichtet werden und auch bleiben.
2.3. Festlegung und Detaillierung der Anforderungen in kleinen, schlagkräftigen Teams in Kombination mit größeren Sounding-Runden
Wie oben angeführt, ist ein Top-down-Ansatz in der Anforderungsdefinition zu empfehlen und durchgängig umzusetzen. Ein klares Learning für eine erfolgreiche Anforderungsdiskussion ist eine sinnvolle Arbeitsteilung in Arbeitsgruppen zur Detailarbeit und Sounding-Runden zur Abstimmung der Anforderungen. Während zB die Anforderungen an die Kostenrechnung in kleinen Teams mit den Controllern formuliert werden, sind die Festlegungen mit deren Auswirkungen auf die Steuerung dann mit Fachbereichen (beispielweise Abteilungs-/ Bereichsleitern, Standortleitungen, …) abzustimmen.
Die Erfahrung zeigt aber, dass die Kombination von Detaildefinition und Sounding in Workshops meist nicht optimal funktioniert und weder effizient noch effektiv verläuft. Eine breite Durchmischung der Teilnehmer hilft zwar dabei, unterschiedliche Perspektiven einzubringen, scheitert aber meist an der Festlegung der sinnvollen „Flughöhe“ in der Diskussion, oder anders ausgedrückt: das Management interessiert, welche Informationen es erhält und das Controlling, wie es diese Daten bereitstellt. Beides in gemeinsamen Workshops zu diskutieren, ist oft nicht zielführend und verursacht im Projekt zunehmend Friktionen.
2.4. Konkrete Anwendungsfälle (Case-Studies) helfen in der Abstimmung mit dem (Top-) Management
Die Umstellung in Richtung S/4HANA lässt sich auch ideal dafür nutzen, um Vereinfachungen umzusetzen oder eine weitreichende Neuausrichtung vorzunehmen. Dabei geht es um unnötige Komplexität in Steuerungssystemen, ineffiziente Prozesse bzw Abläufe oder aber auch darum, konkrete Änderungen
bestmöglich darzustellen und so einen Eindruck von den Konsequenzen zu vermitteln. Sinnvolle Vereinfachungen (zB in der Steuerung) scheitern oft daran, dass die Angst ein Informationsdetail zu verlieren den Nutzen (vermeintlich) übersteigt. Die Konsequenzen daraus sind meist der Erhalt unnötiger Komplexität (zB bei Kontierungsobjekten) oder aber auch damit verbundener Planungs- und/oder Erfassungsaufwand.
Erfahrungsgemäß sind hierzu verschriftlichte Case-Studies sinnvoll, da sie die Möglichkeit bieten, komplexe Sachverhalte und Änderungen transparent darzustellen, sie legen andererseits aber auch die Basis für eine gute Kommunikation mit dem (Top-)Management über mögliche Auswirkungen. Hierzu zählt auch eine objektive Aufbereitung von Vor- und Nachteilen, ggf auch technischer Auswirkungen. Oft wird aus vermeintlichen Effizienzgründen auf die Ausarbeitung von sinnvollen Case-Studies verzichtet, mit der potenziellen Gefahr, dass suboptimale Entscheidungen im Zuge der Anforderungsdefinition getroffen werden oder aber zu einem späteren Zeitpunkt nochmals angepasst werden müssen.
2.5. Verschränkungen und wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Systemen dürfen nicht unterschätzt werden
Gemeinsam mit der Umstellung aus S/4HANA sind oftmals auch andere Applikationen bzw Tools umzustellen. Beispielsweise endet 2027 auch die Maintenance für zahlreiche SAP-Planungsapplikationen (ua für BPC Standard, BPC Embedded, BPC for S/4HANA, …). Daher sollte ein zukunftssicherer Bebauungsplan bzw eine intendierte Zielarchitektur für die Gesamtsteuerung frühzeitig definiert sein, der dann auch Orientierung für das weitere Projekt liefert.
Aufgrund der in der Regel hohen Ressourcenbelastung rd um den Go-Live von S/4HANA, sind andere relevante Umstellungsprojekte (Planung, Reporting, …) rechtzeitig und mit realistischer Ressourcenauslastung einzuplanen. Zudem sind auch allfällige strukturelle Änderungen bei Kostenstellenstruktur,
Kostenarten(gruppen), PSP-Elementen ggf auch in deren Zusammenspiel mit der zukünftigen Reporting- und/oder Planungslösung konzeptionell mitzudenken, da auch bei Beibehaltung von bestehenden Planungs- und Reporting-Werkzeugen Anpassungen notwendig werden können.
2.6. Laufende und enge Verzahnung mit dem technischen Umsetzungsprojekt
Wie bereits weiter oben dargestellt, sind technische Möglichkeiten aus der Umstellung auf S/4HANA transparent herauszuarbeiten und im Wechselspiel mit der technischen Konzeption bzw Umsetzung zu bearbeiten. Daraus entstehende Möglichkeiten und Potenziale (zB Kontierungsobjekte durch Merkmalsanreicherungen zu substituieren, Planungen primär mit einer Tabelle in der Hauptdatenbank zu erstellen oder auch die Erstellung von Planungsszenarien in Echtzeit, …) sind laufend aufzuzeigen, in den konzeptionellen Überlegungen einzubeziehen und dann auch objektiv hinsichtlich deren Umsetzungsaufwand zu bewerten.
Ein laufender, intensiver und vor allem kooperativer Austausch zwischen Konzeptionsteam und technischem Umsetzungsteam ist daher unerlässlich und muss von Beginn an etabliert werden. Hier bildet insbesondere die integrative Projektplanung im Zusammenspiel mit dem SAP Activate-Modell, um „eine gemeinsame Sprache“ zwischen betriebswirtschaftlicher Anforderung und technischer Umsetzung von Beginn an zu etablieren, eine wichtige Grundlage.
Fazit: S4/HANA Umstellung ist kein reines IT-Umsetzungsprojekt
Die Erfahrung zeigt, dass die Umstellung auf S/4HANA nicht als reines IT-Umsetzungsprojekt verstanden werden darf und die strukturierte Beschäftigung mit (fachlichen) Anforderungen den Grundstein für ein erfolgreiches Projekt legt. Nur dadurch lässt sich eine echte und weitreichende Transformation anstoßen, die nachhaltige Optimierungen nach sich zieht. Dies erfordert Zeit und Ressourcen, die aber – wie die Erfahrung zeigt – sinnvoll investiert sind und dabei helfen, Friktionen in der technischen Umsetzung zu verhindern. Ein von allen relevanten Unternehmensbereichen akzeptiertes und mitgetragenes Anforderungs-Set gilt daher als unabdingbar und muss vorhanden sein.