April 2020

Planung in Zeiten einer Pandemie – Ist die Unternehmensplanung am Ende oder stehen wir am Beginn einer Revolution?

von Raoul Ruthner

Die aktuelle Situation lässt sich nur als ein noch nie dagewesener Ausnahmezustand beschreiben. Volkswirtschaften fahren auf Notbetrieb herunter, Staaten riegeln sich ab und damit werden auch ganze Absatzmärkte, Supply Chains etc. in Frage gestellt. In einem Managementinstrument, nämlich der Unternehmensplanung, wird diese Entwicklung besonders drastisch deutlich. Es wird nur wenige Unternehmen geben, die aktuell nicht mit Planzahlen in Form von Budgets konfrontiert sind, die mittlerweile nur mehr einen Wunschzustand aus einer (zumindest gefühlt) längst vergangenen Zeit repräsentieren und nichts mehr mit der Realität zu tun haben.

Allerdings müssen Unternehmen aktuell vor allem auch den Blick nach vorne richten, denn eines steht ebenso fest: Der Aufschwung wird kommen und das Beispiel China zeigt bereits, dass dies auch wieder bald bei uns bevorstehen kann. In dieser Situation gilt es aber umso mehr auch zahlenbasierte, valide und die unterschiedlichen Kontingenzen abbildende Entscheidungsgrundlagen zu haben. Hier wird die Planung ihren Beitrag leisten müssen. Die aktuelle Situation ist daher zum Anlass zu nehmen, endlich einen Schlussstrich mit zaghaften und inkrementellen Weiterentwicklungen des Planungsinstrumentariums zu ziehen. Wir brauchen mutige und innovative Ansätze, die eine dauerhafte Abkehr von der zu stark ausgeprägten Instrumenten- und Toolgläubigkeit herbeiführen, die Organisation mobilisieren, neue Arbeitsweisen und vor allem durch starkes Leadership flankiert werden.

Der folgende Beitrag fasst 10 Thesen im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Unternehmensplanung zusammen und gibt somit einige Richtungsvorgaben für die zielgerichtete, aber auch entschiedene Weiterentwicklung des Planungsinstrumentariums. Nicht alle der Thesen treffen für jedes Unternehmen bzw. jede Branche gleichermaßen zu und sind individualisiert und situationselastisch zur Anwendung zu bringen. Eine vertiefende Aufbereitung des „neuen“ Planungsansatzes findet sich in der nächsten Ausgabe des CFOaktuell im Mai 2020 (Heft 03/2020).

1. Konsequenter Abschied von zu hohem Detailgrad und Fokus auf das Wesentliche

Planungsinhalte müssen sich endlich auf das Wesentliche konzentrieren und die „Flucht ins Detail“ vermeiden. Zwar schon lange gefordert trifft jetzt umso mehr zu: je größer die Unsicherheit desto wichtiger ist die Planung der zentralen Stellschrauben bzw. Werttreiber und eine gute Kenntnis der wesentlichen Wirkungszusammenhänge bzw. Sensitivitäten. Hohe Entscheidungsgeschwindigkeit wird zum Erfolgsfaktor und kann nur in einem fokussierten Planungsmodell sichergestellt werden. Die „Diskussion der Kommastelle“ wird – endlich – der Vergangenheit angehören.

2. Endgültiger Siegeszug des Szenarios

Szenarien als Abbildung alternativer Entwicklungen werden uns noch einige Zeit begleiten (müssen) und zunehmend unser Verständnis von moderner Planung prägen. Die aktuellen Ereignisse rund um SARS-COV-2 / Covid-19 zeigen mit Nachdruck auf, dass Planungen sich eben nicht auf einen Budgetansatz verdichten und damit vereinfachen lassen. Sinnvoll ausgewählte und inhaltlich gehaltvoll ausformulierte Szenarien sind zentrale Orientierungspunkte für das Management. Szenarien sind zudem mit Maßnahmenpaketen zu hinterlegen, um im Falle der Fälle für unterschiedliche Entwicklungen gerüstet zu sein: dies kann sowohl eine negative als auch positive Entwicklung beinhalten. Gerade die geplante Diskussion zur Lockerung von Maßnahmen wird wohl unterschiedliche Entwicklungen berücksichtigen müssen, da unterschiedliche Entwicklungsszenarien möglich sind. Damit einher gehen muss auch eine bessere Verschränkung von Risiken und Chancen mit Planansätzen.

3. Mensch oder Maschine? Der Mensch wird wieder wichtiger

Das Thema Predictive Planning und Forecasting wird seinen festen Platz in der Planung bekommen und ist nicht mehr wegzudenken. Allerdings ist das Ausmaß der Diskontinuität aktuell so groß, dass wieder der Mensch gefragt ist: historische Muster taugen damit nur bedingt zur Prognose der Zukunft. Im Angesicht noch nie da gewesener Entwicklungen bzw. Einschnitte, braucht es umso mehr den Menschen als wesentlichen Taktgeber in der Planung.  Datengetriebenes Arbeiten ist essenziell und wird noch mehr zum Erfolgsfaktor werden, allerdings zeigt sich, dass die Rolle des Letztentscheiders wichtiger denn je wird, und das ist der Mensch.

4. Moderne Organisationsformen und ein neuer Modus der Zusammenarbeit etablieren sich

Bereits seit Jahren stellt die Digitalisierung tradierte Organisationsformen und Prozesse vor Herausforderungen. Hohe Entscheidungsgeschwindigkeit wird aber aktuell nicht nur als Antwort auf schnellere Tools die Real-Time-Analysen bieten notwendig, sondern zu einem handlungsleitenden Imperativ im Management: schnelle Entscheidungsprozesse unabdingbar, „Zauderer“ und „Bürokraten“ haben keine besonders gute Zukunftsprognose! Daher werden auch hierarchische Organisationsformen entscheidend auf die Probe gestellt und werden ins Wanken geraten. Hingegen sind schlanke, agile und adaptionsfähige Strukturen von entscheidendem Vorteil. Planung bildet immer auch die bestehende Organisation und Verantwortlichkeiten ab. Hohe organisatorische Komplexität übersetzt sich damit auch häufig in komplexe Planungsmodelle.

5. Bottom-up ist ein Relikt der Vergangenheit

Der immerwährende Wettstreit zwischen Bottom-up und Top-down als Planungsparadigma ist entschieden. In der nächsten Zeit werden sich Top-down-Ansätze durchsetzen und allzu breitflächige durchgeführte Planungsaktivitäten (zumindest eine Zeit lang) verdrängen. Allein aus dem Geschwindigkeitsargument heraus wird mehr Top-down handlungsleitend die Planungsprozesse nachhaltig beeinflussen. Wer Monate in detailverliebter Planung in der Fläche verharrt kann mit der Veränderungsgeschwindigkeit im Umfeld nicht mehr Schritt halten – egal ob diese in eine positive oder negative Richtung ausschlagen.

6. Integriertes Planen wird zur Pflichtübung

Gerade in der aktuellen Situation ist oftmals stattfindende Fokussierung auf die Gewinn- und Verlustrechnung in der Planung völlig unzureichend, um nicht zu sagen ein betriebswirtschaftlicher „Hasard-Ritt“. Bilanzielle Konsequenzen und letztlich die Auswirkungen auf den Cashflow bzw. die Liquidität sind maßgebliche Steuerungsinformationen, auf die nicht verzichtet werden kann. Daher ist Integrierte Planung zwar ein „verstaubtes“ Schlagwort, dass aber jetzt umso mehr wieder Beachtung findet und zum Pflichtprogramm im Controlling avanciert.

7. Das Budget ist tot, lang lebe der Forecast

Tendenziell bürokratische Planungszugänge werden verdrängt und sind nicht mehr zeitgemäß. Der Forecast bzw. rollierende Forecast wird zentrales Steuerungsinstrument um schnell, gezielt und flexibel auf sich ändernde Gegebenheiten zu reagieren. Die längst überfällige Ablöse des klassischen Budgets wird endlich Wirklichkeit und die forecast-orientierte Steuerung zur gängigen Praxis.

8. Ein starkes und interdisziplinäres Planungsteam wird unabdingbar

Um schnell belastbare Szenarien zu entwickeln bzw. daraus Entscheidungsgrundlagen abzuleiten wird ein interdisziplinäres Planungsteam notwendig. Das Planungsteam muss dabei überschaubar groß, schlagkräftig und durchsetzungsstark sein. Controlling wird weiter eine wesentliche und integrierende Rolle spielen bzw. prozessual den Takt angeben, allerdings wird die inhaltliche Bearbeitung und vor allem breit getragene Planungsannahmen immer wichtiger. Nur ein interdisziplinäres Planungsteam kann dieser Anforderung genügen.

9. Ohne Kultur und Mindest funktioniert nichts

Planungen – egal ob Budget oder Forecast – als Pflichtübung zur Bedingung zentraler Anforderungen des Controllings können sich Unternehmen nicht mehr leisten. Es braucht eine ausgeprägte Steuerungskultur, um nicht zu sagen ein gemeinsam getragenes Mindset, dass Planung als handlungsleitende Abbildung der Zukunft verstanden und auch gelebt wird. Dies setzt auch hohes Commitment und Verbindlichkeit von der Zieldefinition bis zur finalen Abgabe des Budgets voraus.

10. Leadership wird zum zentralen Erfolgsfaktor

In letzter Konsequenz wird ist die Bedeutung von Leadership drastisch zunehmen. Klare Ansagen, mutige Entscheidungen und konsequente Umsetzung sind wichtiger als je zuvor. Damit wird starkes Leadership zu einem unabdingbaren Erfolgsfaktor, der sich im Management und in weiterer Folge im Planungsteam widerspiegeln muss. Planzahlen werden eine wichtige Unterstützungsfunktion und Leitlinie liefern. Scheingenaue und übertrieben detaillierte Planungen sind nicht länger ein probates „Feigenblatt“ um mangelnde Entscheidungsfreude zu kaschieren.